Immemorial

Jodie Carey

Galerie Rolando Anselmi

Monumente des Vergänglichen – eine Annäherung an das, was zwischen Erinnern und Vergessen liegt. Die Ausstellung ist Teil der umfassenden Auseinandersetzung von NBR mit dem Werk der britischen Künstlerin Jodie Carey.

Die Arbeiten der britischen Künstlerin Jodie Carey umkreisen immer wieder die komplexe Dynamik zwischen Erinnerung und Vergessen. Ihre Werke stellen sowohl den Versuch dar, dem Prozess des Verschwindens nachzuspüren, als auch ihm etwas entgegenzusetzen und einen Augenblick des Bewahrens zu schaffen. Dabei verwischt die Künstlerin die Grenzen zwischen forschend-dokumentarischen und poetisch-narrativen Elementen, indem sie beides behutsam ineinander verwebt.

 

Die Materialien, mit denen Carey arbeitet, bilden das konzeptionelle Herz ihres Schaffens. Bereits hier ist der Wesenskern der Arbeiten angelegt. Symbolisch stark aufgeladene Stoffe wie Blut oder Knochenstaub finden bei der Künstlerin ebenso Verwendung wie Materialien, die zunächst dem Kreis des Alltäglichen, ja Gewöhnlichen, zuzuordnen sind, wie Staub oder die Asche einer Zigarette. Die Materialien überschreiten dabei jedoch stets die Ebene der reinen Stofflichkeit: Sie sind immer auch ein konkreter materieller Teil jenes Momentes oder Objektes, mit dem sich Carey auseinandersetzt. Hier spiegelt sich auf eindringliche Weise Careys Anliegen, authentische Augenblicke des Erinnerns zu schaffen. Ganz so wie religiöse Reliquien sind ihre Arbeiten nicht nur ein symbolischer Verweis, sondern immer auch ein faktischer Träger einer materiellen Essenz. In dieser Duplizität findet jene Verdichtung des Erinnerns statt, die Careys Arbeiten auszeichnet.

 

Auf einer ganz grundsätzlichen Ebene wirft die stete Überschneidung von Dokumentarischem und Narrativem in Careys Werk Fragen nach dem Umgang mit Erinnerung auf, nach ihrer Wahrhaftigkeit und Authentizität. Die Angemessenheit der Art des Erinnerns steht für Carey im Zentrum ihrer Arbeit. Careys eigenes Streben nach einem sinnhaften Umgang mit ihren Materialien spiegelt dabei auf besondere Weise unser persönliches Verlangen nach einem bedeutungsvollen, vielleicht sogar würdevollen Umgang mit den Dingen und Momenten, die wir über das Zeitliche hinaus bewahren wollen.

 

Dabei fungieren die Werke nie als Ersatz, nie als ein Objekt, durch das sich das Verschwindende vollständig einfangen ließe. Die Arbeiten entziehen sich mit aller Kraft der Versuchung statische Denkmäler zu sein, reine ästhetische Repräsentanz dessen, was nicht mehr ist. Sie sind vielmehr ein tief melancholischer Verweis auf eine Leere, einen Verlust. In ihnen spiegelt sich immer zugleich ein Moment und sein Verschwinden. Die Tatsache der Vergänglichkeit soll durch die Arbeiten nicht verschleiert werden – vielmehr ist es der Zweck des Werkes, ein sichtbares Zeichen dafür zu sein. Das, was nicht mehr ist, muss folglich immer mitgedacht werden und wird zum nicht direkt fassbaren Teil des Werkes.

 

Den Ausgangspunkt für die Ausstellung bildet die Serie Elegy. Die fünf kleinformatigen Prints stellen digitale Abdrucke von original erhaltenen Glasnegativplatten. Vor dem Aufstieg des Zelluloids zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten Negativplatten das Kernstück einer sich rasant entwickelnden Fotografietechnik. Heute werden derartige Platten nur noch selten verwendet. Sie sind das Überbleibsel einer vergessenen Technik und die fünf Exemplare der Serie Elegy, auf denen sich Abdrucke klassischer Blumenstillleben befinden, wurden vermutlich in den 1920er-Jahren produziert. In der Absicht die fragilen und bereits beschädigten fotografischen Spuren der Motive zu bewahren, entschied sich die Künstlerin, digitale Prints zu entwickeln. Dabei verzichtete Carey bewusst darauf, die Spuren von Beschädigungen der Glasplatten im Zuge dieser Reproduktion zu bereinigen. So halten die fünf Prints nicht nur die schwächer werdenden Bilder fest, sondern auch die Geschichte ihrer Träger in Form der markanten bläulichen Flecken. Durch das Sichtbarmachen dieser Makel findet Carey einen Umgang mit dem Material, der die gesamte Tiefe der Geschichte dieser Objekte einzufangen versteht.

 

Als ein traditionelles Doppel-Symbol von Sterblichkeit und Lebenskraft zugleich, spiegelt sich in diesem einfachen Strauß Blumen jene Frage nach Sein und Vergehen, die auch Carey immer wieder umtreibt. Die Ausstellung in ihrer Gesamtheit darf in vielerlei Hinsicht als eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Motiv der Negativplatten verstanden werden: So hinterlassen bei Untitled (Study) verwelkende Blumen die Spuren ihres Zerfalls auf dem Papier, während sich bei Untitled (Watercolour) das Papier mit deren Farbe vollzusaugen scheint. Die Arbeiten beider Serien erinnern auf erstaunliche, aber nicht zufällige Weise an die Form der bläulichen Spuren in einem der Prints der Serie Elegy. Ein konzeptionelles Band zwischen den Arbeiten knüpfend, wählt Carey für beiden Serien ähnliche Blumen, wie sie auch auf den Elegy-Prints zu sehen sind. Und gleich einem fotografischen Negativabdruck, sind auch die Papierarbeiten das Abbild eines Motivs, welches sich längst unseres Zugangs verschlossen hat.

 

Die Installation Untitled (Immemorial) bildet das Zentrum der Ausstellung. Bestehend aus sieben unterschiedlich langen Stoffbahnen, welche von der Künstlerin selbst gewebt und anschließend mit aus Blumen gewonnener Farbe gefärbt worden sind, scheint die Installation von der Wand in den Hauptraum zu fließen. Auch hier fungieren die Arbeiten als Träger einer Essenz. Durch die sich graduell abschwächende Färbung der Stoffe sperren sich die Arbeiten jedoch gegen die Idee einer Vollkommenheit und verwehren sich damit der Illusion, der Prozess des Bewahrens könne jemals ein vollständiger sein: Fast scheint es, als würde die Farbe beständig in die Enden der Stoffbahnen sacken und sie so an ihren oberen Spitzen beinahe im Weiß der Wand verschwinden lassen. Auch hier schreibt die Künstlerin ihren Arbeiten einen beunruhigenden Moment der Verunsicherung ein, der uns an die stille aber endgültige Kraft der Vergänglichkeit erinnert.

 

Dass der Augenblick des Festhaltens ein schwacher, ein zuweilen flüchtiger Moment sein kann, deutet sich auch in der Arbeit Untitled (Rope) an. Das aus tausend einzelnen Fäden handgedrehte Seil wirkt trotz seiner Massivität fragil und verletzlich – was hier in mühsamer Arbeit zusammengebracht wurde, scheint jeden Moment wieder auseinanderfallen zu können.

 

Die Werke der Künstlerin öffnen in ihrem weitestgehenden Verzicht auf die Verwendung repräsentativer Elemente einen Raum, in dem unsere eigenen Erfahrungen auf subtile Weise den Blick auf die Werke durchströmen. Nur vorsichtig – wie in den Leichentuch-ähnlichen Stoffbahnen der Installation Untitled (Immemorial) – deutet Carey noch Formen an, die der Betrachter zuordnen kann. Darüberhinaus verbleiben die Arbeiten jedoch im Bereich zwischen dem Suggestiven und dem Abstrakten und fordern uns damit auf besondere Weise heraus.

 

Careys Arbeiten deuten Antworten auf die durch sie aufgeworfenen Fragen nur an. Vorsichtig umreißt die Künstlerin dabei die Idee, dass sich die persönliche Kultur der Erinnerung vor allem an zwei Momenten aufhängt: an jenem, in dem wir entscheiden, was wir bewahren wollen und an jenem Moment, in dem wir das Bewahrte neu arrangieren. Während bei Untitled (Rope) oder Untitled (Immemorial) die Künstlerin noch als einflussreiche und wirkmächtige Akteurin auftritt und die Arbeiten ein Produkt elaborierter Technik im ganz konkreten Sinne sind, so ist Careys Eingriff bei Elegy subtiler. Die volle Bandbreite unseres Umgangs mit unserer Erinnerung und unserer eigenen Teilhabe am Prozess des Erinnerns wird hier sichtbar gemacht. Die Frage, welche Arbeit authentischer ist, welche Arbeit sich erfolgreicher gegen das Verschwinden stemmt, bleibt von Carey bewusst unbeantwortet. Die Arbeiten in der Ausstellung sind in dieser Hinsicht als Einblick in einen Prozess zu verstehen, in dem sich Careys Schaffen kontinuierlich befindet; als offene Frage, der auch wir immer wieder begegnen.

 

Immemorial
Jodie Carey
Galerie Rolando Anselmi
Erkelenzdamm 11–13
10999 Berlin
27.04.–30.06.2013

 

In Zusammenarbeit mit
Galerie Rolando Anselmi