Vom Ende des Projektraums

Neue Berliner Räume

Project Space Festival

Die Projekträume gehören zu den spannendsten und eigenständigsten Kulturorten der Stadt. Wofür aber wollen sie in Zukunft stehen? Als Annäherung an diese Frage erscheint 2015 ein mehrteiliges Buchprojekt.

Der Begriff des Projektraums ist heute mit noch nie dagewesenen ökonomischen, politischen und strukturellen Möglichkeiten verknüpft. Während die gesammelten Preisgelder des seit 2012 jährlich ausgeschriebenen Projektraumpreises des Berliner Senats im kommenden Jahr in der Summe die Millionenmarke überschreiten werden, öffnen sich zur gleichen Zeit mit dem Project Space Festival und weiteren Kooperationsformaten (u.a. mit der Berlin Art Week und dem KW Institute for Contemporary Art) bisher ungeahnte Foren nationalen und internationalen Rangs für die Projekträume. Begleitet werden diese Veränderungen von einer stetig wachsenden Anerkennung der Politik, die ihre Wahrnehmung für die zentrale Rolle der freien Szene in der kulturellen Architektur der Stadt immer weiter schärft. Nach Jahrzehnten an der existenziellen Peripherie scheint der Begriff des Projektraums plötzlich mit immer konkreter werdenden Ideen von Macht und Möglichkeiten angereichert.

 

Gleichzeitig mehren sich jedoch die Zeichen, dass diese gewachsene Bedeutung der Projekträume bereits ins Schwanken gerät. Es sind scheinbar singuläre Begebenheiten, die sich jedoch – wenn man sie vorsichtig übereinander projiziert – auf augenfällige Weise gegenseitig ergänzen. Entwicklungen, in denen sich möglicherweise die langsame Erosion der Begrifflichkeit selbst andeutet, auf deren Fundament das neue Gewicht der Projekträume beruht. Wo also steht die Idee des Projektraums heute?

 

Im April 2015 gibt die Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten des Berliner Senats die mit Spannung erwartete Juryentscheidung für den diesjährigen Projektraumpreis bekannt. Unter den sieben Preisträgern befindet sich mit dem Grimmuseum auch ein Projektraum, der durch seine Beteiligung an internationalen Kunstmessen und der dauerhaften Vertretung von Künstlern dem Modell einer kommerziellen Galerie auf ungewöhnliche Weise nahezustehen scheint. Jenseits aller verdienten Anerkennung für das Grimmuseum – das nur als Folie für die hier formulierten Gedanken dienen soll – trifft diese Entscheidung hinter den Kulissen auf Nachdenklichkeit, scheint sie doch die Axt an eine der Urmythen des Projektraums zu legen: seiner Nichtkommerzialität. Immer wieder war es den Projekträumen in der Vergangenheit gelungen, dem Markt zu entsagen – mal scheu, dann wieder triumphierend. Aber wenn ein Projektraum nun auf Messen vertreten sein kann und Künstlerkarrieren dauerhaft begleitet und fördert, was unterscheidet die Idee des Projektraums dann noch von der einer Galerie? Mit dieser Frage ist ein Unbehagen in die Projekträume eingezogen.

 

Zur gleichen Zeit lässt sich beobachten, wie es die Projekträume in dem Drängen nach mehr Öffentlichkeit auf die großen Schauplätze der Berliner Kunstwelt zieht – wie beispielsweise im Rahmen verschiedenster Kooperationen mit der Berlin Art Week oder dem KW Institute for Contemporary Art. Oft aber ist in diesem selbstbewussten Vorstoß aus der Wahrnehmungsperipherie heraus bereits auf paradoxe Weise eine Schwächung der eigenen Sache versteckt. Denn was ist aufgegeben für die Möglichkeit, dabei zu sein? Waren wir so naiv zu glauben, es koste uns nichts?

 

Von „Mehrwert“ beispielsweise spricht der Ausschreibungstext zum „One Night Stand“, einer Kooperation zwischen dem KW und dem Projektraumnetzwerk, der bedeutendsten und erfolgreichsten Interessensvertretung der Berliner Projekträume. Und augenblicklich steht mehr auf dem Spiel, als nur das Wie und Wo dieser einen Zusammenarbeit. Denn dort, wo Projekträume und Institutionen in dem Sinn einer Zusammenarbeit nur den Zauber eines strategischen Mehrwertes beschwören, gerät etwas ins Rutschen: Über Jahre und Jahrzehnte hinweg hatten sich die Projekträume intuitiv als hell flirrendes, drittes Potenzial neben den institutionellen und kommerziellen Akteuren begriffen. Diese traditionelle Neugierde auf die ganz eigenen Möglichkeiten, die so viel kritische und kreative Wucht in sich trägt, steht auf dem Spiel. Institution und freie Szene suchen hier stattdessen die Auslotung eines möglichst dichten Miteinanders, die gegenseitige Anreicherung, das gemeinsame Mehr. Fest einander umarmend. Wenn es nun aber um das Verhältnis von Projekträumen zu anderen Akteuren geht, dann immer auch um die Frage, ob zwischen den Institutionen und Galerien nicht ein Raum für etwas Anderes eröffnet werden kann und muss. Noch immer steckt in dieser utopischen Idee für alle Beteiligten eine Kraft.

 

Der Projektraumbegriff ist in den letzten Jahren offener geworden, vielleicht sogar freier. Zu dieser Beobachtung gehört sicherlich auch, dass gleichzeitig das Selbstverständnis von Galerien und Institutionen neu entworfen wird. Kommerzielle Galerien stehen unter dem Druck, kuratierte Ausstellungen zu liefern, anstatt nur mehr reine Verkaufsformate. Und Institutionen blicken vor dem Hintergrund eines anti-elitären Zeitgeistes der vermeintlichen Peripherie tief in die Augen. Auch die Idee des „One Night Stand“ spricht – allein schon in ihrem irgendwo auf halber Strecke zwischen Witz und Understatement verunglückten Titel – von eben diesem Geist. Und nicht automatisch ist zu sagen, ob diese Veränderungen positiv oder negativ zu sehen wären. Aber wenn scheinbar immer mehr möglich ist unter dem Dach dieser Begriffe, dann werden deren Umrisse immer undeutlicher, ist ihre Wirkmacht geschwächt.

 

Im Statement der diesjährigen Jury des Project Space Festivals scheint sich die Konsequenz dieser Entwicklungen für die Projekträume dann auch auf eindrückliche Weise zu kristallisieren. Es liest sich als angenehm ehrliche Kapitulation vor den Realitäten einer bis in die Unkenntlichkeit hinein ausdifferenzierten Szene; auch als ein mutiger Unwille, über die handfeste Problematik dieser Veränderungen noch länger hinwegzulächeln:

 

„Im Zuge dieser Jurysitzung hat sich gezeigt, wie herausfordernd die Beantwortung der grundsätzlichsten Fragen in Bezug auf Projekträume ist, nämlich: Was definiert einen Projektraum? Sollen ausschließlich die Programme der Projekträume bewertet werden, und wenn, dann mit welchen Kriterien, oder geht es um eine Beurteilung der konzeptionellen Ausrichtung der Projekträume vor dem Hintergrund der kulturpolitischen Situation Berlins? (…) Aufgrund des gegebenen zeitlichen Rahmens sah sich die Jury nicht in der Lage, die notwendigen Kriterien zu entwickeln, da dies nur das Ergebnis eines längeren Diskussionsprozesses sein kann. Deshalb beschränkte sich die Jury auf eine ergebnisorientierte Auswahl nach eher individuell-subjektiven Kriterien.“

 

Hier drückt sich in aller Klarheit das Gefühl aus, dass es nicht länger möglich ist zu sagen, was einen Projektraum überhaupt ausmacht, dass die bisherigen Beschreibungen und Kriterien als Werkzeug einer Definition nicht länger genügen. Und dass die Szene, die noch bis vor wenigen Jahren mit gutem Gewissen als Projektraumszene bezeichnet werden konnte, etwas anderes geworden ist.

 

Dies heißt aber auch, dass sich die eingangs beschriebene Macht um einen immer hohler werdenden Kern formiert hat. Noch ist unklar, welche Möglichkeiten sich aus solch einer Situation heraus formulieren ließen, welche Chancen uns daraus erwachsen werden: Gilt es, den Begriff des Projektraums wieder strenger zu handhaben und Ordnung ins vermeintliche Identitätschaos zu bringen? Oder besteht eine Möglichkeit darin, seine Ausdifferenzierung – und die Veränderungen, die dahinterstehen – auf Augenhöhe mitzugestalten und aus diesen Realitäten heraus ein neues, affirmatives Verständnis dessen zu entwickeln, was uns ein Projektraum sein kann? Mit Sicherheit aber wird es notwendig sein, uns der Idee des Projektraums neu zu vergewissern. Nicht zuletzt zielen all diese Überlegungen darauf ab, uns selbst, die wir Projekträume betreiben, daraufhin zu befragen, was wir leisten wollen und wer wir heute sein können.
_

 

Als Beitrag zur Beschreibung und Klärung dieser Fragen erscheint die Publikation Vom Ende des Projektraums. Der Entwurf eines möglichen Neubeginns am 30. August 2015 als Beitrag von Neue Berliner Räume zum Project Space Festival 2015. Neue Berliner Räume hat in der Vergangenheit mit vielen verschiedenen Partnern zusammengearbeitet, darunter Institutionen und Galerien ebenso wie Universitäten, Projekträume, freie Kurator*innen und andere Initiativen. Unsere eigene Arbeit als nomadischer Projektraum ist vielleicht als exemplarisch für die Veränderungen und Erweiterungen des Projektraumbegriffs zu sehen. Es kann ganz und gar nicht darum gehen, die sich bereits seit Jahren abzeichnenden, oft nicht formulierten oder begrifflich begleiteten Entwicklungen nur negativ zu beschreiben. Vielmehr ist es an der Zeit, eine lange versäumte Diskussion gemeinsam nachzuholen.

 

Vom Ende des Projektraums
Neue Berliner Räume
Project Space Festival 2015
30.08.2015

 

Digitale Version
kostenloser Download

 

Printversion
info@neueberlinerraeume.de
10 Euro

 

Autor
Manuel Wischnewski

 

Art Direktion
Marie Wocher

 

Eine Bestandsaufnahme, die an (gedanklicher und sprachlicher) Klarheit und Reflexionstiefe zum Besten gehört, was der schreibende Teil der Berliner Kunstszenen hervorgebracht hat.
– Blitzkunst